Meinungen, Fragen zu Ereignissen im Jahr
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Was beschäftigt mich? Was treibt mich voran? Kann man nicht einfach so in den Tag hinein leben?

 

 

Schlaraffenland

gr Hört zu, Freunde, ich will euch von einem guten Lande sagen, dorthin würde mancher ziehen, wüsste er, wo es liegt. Aber der Weg ist weit für alt und jung, er erfordert kräftige Beine, auch die Hände muss man gebrauchen können. Vor allem jedoch verlangt er einen starken Willen und die Fähigkeit, den Grips zu benutzen; auch kommt keiner hin, der alles alleine machen oder besser wissen will; manche liebe Gewohnheit müsst ihr da fallenlassen und nicht immer zuerst ich, ich, ich denken. Die Landschaft ist schön dort im Sommer wie im Winter, ganz gleich, ob die Sonne scheint, ob’s regnet oder ob Schnee fällt, man fühlt sich wohl. Zwar sind die Häuser nicht mit Eierfladen gedeckt und aus Lebkuchen gemauert, aber sie sind wetterfest und modern eingerichtet; wenn dort ein Wasserrohr leck ist oder ein Sturm die Dachziegel vom Dach weht, kommt sofort der Handwerker, und man braucht ihn kein extra Trinkgeld zuzustecken oder extra zu bewirten. Auch gibt es keine Wartelisten für Kindergartenplätze; wer einen benötigt oder haben will, meldet sich kurzfristig und bekommt diesen auch.

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In diesem Land gibt es keine Versorgungslücken hinsichtlich Toilettenpapier, Zucker oder Mehl, und wenn doch, dann höchstens mal eine ganz Kleine. Keiner hamstert und bunkert Lebensmittel in Größenordnungen im Keller oder Scheune, um sie dann nach einem Jahr in die Tonne zu werfen. Schöne Mäntel, Anzüge und Kleider wachsen zwar nicht auf den Bäumen, sie sind aber trotzdem in großer Anzahl vorhanden, sie sind modisch, anschmiegsam und preiswert für jedermann. Worte, wie WSV oder SSV kennt man hier nicht, in jedem Laden gibt es das gleiche gute Angebot in hoher Qualität. Kein Verkäufer kommt auf den Gedanken, den Kunden übers Ohr zu hauen oder abzuzocken.

Die BIO-Lebensmittel sind gleichbleibend billig und ohne Mehrwertsteuer als hierzulande, und für den Bus bezahlt man gar nichts mehr; es gibt nicht nur gebratene Hühner, Wurst und Spanferkel in den Auslagen der Discounter und Großmärkte, es gibt auch ausreichend Aal, Ölsardinen und feinsten Nussschinken. Das köstliche Heidelbeerkompott, Krabben und Kaviar sind dort jedermann zugänglich.

Die Arbeit macht in diesem Land Freude, denn die Materialversorgung und Zulieferung aller benötigten Teile klappt vorzüglich und ist nicht von ausländischen Billiganbietern abhängig. Die Chefs sind nicht rechthaberisch, keiner denkt nur an den eigenen Geldbeutel. Die Verbesserungsvorschläge (IDEEMA) verschwinden nirgendwo in den Schreibtischkästen, und die Technik wird mit größter Sorgfalt und Intensität angewandt. Niemand ist darauf bedacht, sein Wissen für sich zu behalten, Erfinder und Neuerer sind die geachtetsten Personen. Wenn einer aber mal einen Fehler macht, bügelt er ihn mithilfe der anderen wieder aus.

In diesem Land braucht man sich nicht mit der Stadtverwaltung anlegen, wegen unzumutbaren oder zu unrechtmäßig erhobenen Gebühren für Straßen und Müllentsorgung. Es gibt keine Unregelmäßigkeiten oder Vetternwirtschaft in der Verwaltung. Die Leute vom Finanzamt sind freundlich und hilfsbereit zu jeder Tageszeit. Lange Wartezeiten, oder gar schwarze Listen gibt es nicht. Im Gegenteil, die Verwaltungen sind für die Bewohner da und neunundneunzig Prozent aller Stempel sind abgeschafft. Formulare sind eine Seltenheit, und einen Reisepass braucht man nur, damit man seinen Namen nicht vergießt.

In diesem Land ist alles sehr sauber, denn niemand wirft Papier auf die Straße, niemand Abfälle in den Wald oder in den See. Die Fabrikschornsteine sind so konzipiert, dass sie nur ab und zu kleine weiße Wölkchen ausstoßen, und jeder Betrieb setzt seine Ehre darein, den Flüssen und Seen das Wasser sauber zurückzugeben. Man findet keine beschmierten Hauswände oder Brücken, und keine abgerissenen Telefonhörer; die Wartehallen der Straßenbahnen und der Busse sind nicht beschädigt oder bekratzt, die Züge fahren zur vorgesehenen Zeit und sind pünktlich.

Der Lärm und die Feinstaubbelastung sind in diesem Land abgeschafft, die Städte sind Zentrum der Erholung. Der Schiff- und Flugverkehr besitzen Krawall- und Feinstaubschluckausrüstungen, die Lastkraftwagen fahren mucksmäuschenstill in die Innenstädte. Autofahrer benehmen sich sehr vernünftig und rücksichtsvoll; Unfälle gibt es nicht mehr, denn die Fahrzeuge sind vorn und hinten mit Luftkissen gepolstert. Dadurch braucht man nur noch selten Ersatzteile, sie werden an den E-Tankstellen kostenlos abgegeben.

Egoisten, Prahlhänse, Besserwisser, Wichtigtuer, Faulpelze, kurz, Leute, die sich auf Kosten anderer einen schönen Tag machen wollen oder denken, sie sind etwas Besseres, weil sie vielleicht ein Wassergrundstück oder eine Motoryacht besitzen, sind nicht gefragt. In diesem Land ist der Landwirt gleich dem Arzt, der Handwerker gleich dem Politiker, der Künstler gleich dem Fabrikarbeiter, und es gibt weder von den einen zu viel noch von den anderen zu wenig. Aber um hinzukommen, in dieses Land, braucht’s nicht nur guten Willen. Es braucht gewiss auch mehr Verstand und Anstrengung, als sich durch einen Damm von süßem Reisbrei zu fressen.

Ein Wort zum Büchlein von Klaus Möckel

 

 

Copyright-Hinweise:
Karikatur (Hörspiel Hexe)
Buchautor (Klaus Möckel)
Grafik/Autor (Dirk Hänsel)

 

 

 

 

Bearbeitungsstand: 27.01.2023